„Ein geselliges, schönes Leben wird sich um ihn entwickeln.“ – Schicksal oder Zufall?
von Christina Lemmen
Sich ein Horoskop erstellen oder aus der Hand lesen zu lassen, war immer wieder mal in Mode. Von zahlreichen Persönlichkeiten der vergangenen Jahrhunderte sind solche Vorhersagen des Schicksals überliefert. Im Nachlass von Waldemar Bonsels finden sich gleich mehrere Voraussagungen: „Waldemar Bonsels, geb. zu Hamburg. 21. II 81 – 12 U. mittags“ sind die Eckdaten, nach denen die Horoskope erstellt wurden. Auffällig ist, dass Johann Wolfgang von Goethe und Thomas Mann ebenfalls zu dieser Stunde geboren sein wollen(1); aber das kann natürlich auch nur Zufall, nicht Schicksal – oder gar Dichtung – sein…
Aus Geburtsort, -datum und -zeitpunkt und der damit verbundenen Planetenkonstellation lassen sich zahlreiche Rückschlüsse auf Persönlichkeit und Charakter ziehen: So scheint die Stellung des Merkurs zur Sonne ebenso für Waldemar Bonsels‘ Karriere als Schriftsteller verantwortlich zu sein wie für seinen „materiellen Reichtum durch geistige Arbeit“. Auch seine Klugheit, seine philosophische Veranlagung und sein unstetes Wanderleben lassen sich auf die Konstellation der Planeten zum Zeitpunkt seiner Geburt zurückführen.
„Wohlstand und Reichtum werden mit vieler Mühe, nach weiten Umwegen errungen. Der Erfolg wird dann sehr glänzend sein.“ liest man unter der Rubrik „Erfolg“. In der Tat dauert es einige Jahre bis Bonsels‘ 1912 erschienener Roman „Die Biene Maja und ihre Abenteuer“ zum Bestseller wird und er allein vom Schreiben leben kann. Unter „Reisen“ heißt es im Horoskop: „Viele kleine Reisen, auch einige größere Reisen bringen viele Ortswechsel mit sich. Diese Reisen tragen aber zum Ruhm des Geborenen bei.“ Auch diese Voraussage trifft zu: In jungen Jahren ist Waldemar Bonsels als Handlungsreisender in Deutschland unterwegs bevor er als Missionskaufmann nach Indien geht. Expeditionen nach Ägypten, Brasilien und eine halbjährige USA-Reise folgen in den nächsten Jahrzehnten. Lese- und Vortragsreisen führen den Autor durch halb Europa.
Selbst, dass Bonsels‘ Kinder aus mehreren Ehen haben wird, ist anscheinend vom Schicksal festgelegt. Venus sorgt für „viele Freunde, speziell weibliche“. Da wundert es auch nicht, dass „viele Frauen […] dem Geborenen nahe werden“. Doch das Horoskop mahnt zur Vorsicht, denn „natürlich werden auch Feinde an der Arbeit sein“, die sein unkonventionelles Leben verurteilen. Alles in allem besteht aber kein Grund zur Sorge, denn „ein geselliges, schönes Leben wird sich um ihn entwickeln.“ Die Sterne lügen nicht, die Voraussagen sind eindeutig und so bleibt dem oder der unbekannten VerfasserIn des Horoskops dann auch nur eine Schlussfolgerung: „Kein Wehen und Streiken hätte genützt: Waldemar Bonsels mußte Dichter u. Schriftsteller werden, mußte den Menschen seine Bücher schenken!!!“
Erstaunlich präzise sind diese Voraussagen zu Bonsels‘ Persönlichkeit und Leben. Da ist man fast versucht, an die Macht der Sterne glauben – oder vielleicht auch nur an die guten biografischen Kenntnisse der ErstellerIn.
Und Moment! Beim Geburtsjahr scheint ohnehin ein Fehler unterlaufen zu sein. Bonsels erblickte bereits am 21. Februar 1880 das Licht der Welt, nicht erst ein Jahr später. Das abweichende Geburtsjahr findet sich an verschiedenen Stellen, sei es in biografischen Notizen, Lexikoneinträgen oder den Glückwunschkarten zum 60. Geburtstag, die 1941 bei Bonsels eintrafen. Wie es zu dieser Abweichung kam und warum Bonsels sie nicht korrigierte, wird ein Mysterium bleiben.
Welche Folgen dieser Irrtum wohl hatte? Vielleicht war Bonsels eigentlich keine große Zukunft in die Wiege gelegt und er hat selbst an seiner Schicksalsuhr gedreht? Zuzutrauen wäre es ihm, der sich ein Leben lang in verschiedensten Rollen inszenierte. Zum Glück können wir zur Inspektion noch Bonsels‘ Handabdrücke heranziehen. Die sind weniger leicht zu fälschen, auch wenn es ein Dichter gerne tut. Welche Wichtigkeit Waldemar Bonsels selbst solchen Voraussagen beimaß, das steht ohnehin in den Sternen…
(1) Vielen Dank an Bernhard Viel für den Hinweis zu Goethes und Manns Geburtsstunden in seiner Bonsels-Biografie: Der Honigsammler. Berlin 2016, S. 13.