Immer wieder Capri
von Christina Lemmen
Das Foto aus dem Jahr 1929 zeigt Waldemar Bonsels in legerer, doch dandyhafter Kleidung, wie so häufig rauchend. Die Sonne scheint und er hat es sich auf der steinernen Bank nahe der Casa Romita bequem gemacht. Entspannt blickt er in die Kamera. Über dem Hemd mit Krawatte trägt er eine Strickjacke, auf dem Kopf einen Fedora; vielleicht ein Borsalino – schließlich befindet man sich in Italien. Und der insulanen Atmosphäre muss auch die Garderobe eines Bohemiens gerecht werden.
Immer wieder zieht sich Bonsels auf die etwa 5 km vor Neapel liegende Insel zurück, um dort in Ruhe zu schreiben – wenn er es nach eigenen Angaben auch nie länger als zwei Monate aushielt. Oft verbringt er die Wintermonate in der milden Luft des Südens, hält sich jedoch auch im Sommer dort auf. Nach Deutschland schickt er Briefe und Postkarten an Freunde und Familie. Ein Brief an seine spätere Ehefrau Rose-Marie Bachofen zeigt, warum Bonsels Capri so genießt:
„Jetzt bin ich endlich wieder in Sonne, Fels und Meer geborgen und werde langsam wieder ein Mensch und ich selbst.“
Waldemar Bonsels an Rose-Marie Bachofen: Capri, 10. März 1931
Bereits im April 1908 führt eine Italienreise Bonsels das erste Mal nach Capri. Auf der Insel hatten sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts europäische Schriftsteller*innen und Künstler*innen eingefunden, die teils monatelang, teils dauerhaft blieben.
Die Mischung aus international-künstlerischem Publikum, atemberaubender Landschaft und wohltuender Einsamkeit sowie das milde Klima übten auf Bonsels eine große Anziehungskraft aus. Deutsche Besucher*innen bezogen meist das Hotel Pagano und während seiner ersten Besuche wohnt auch Bonsels hier.
Ab 1916 mietet er jedoch die am südöstlichen Inselrand über der Steilküste gelegene Casa Romita. Hier beendet er die „Indienfahrt“, in der er vermeintlich autobiografische Erlebnisse aus seiner Zeit als Missionskaufmann in Indien (1903-1904) verarbeitet.
Dem zweiten Band seiner Mario-Trilogie „Mario und Gisela“ gibt Bonsels 1929 auf Capri den letzten Schliff. „Tage der Kindheit“ entsteht im darauffolgenden Jahr. Den Juni 1935 nutzt er nach einer halbjährigen USA-Reise für die Fertigstellung von „Der Reiter in der Wüste – Eine Amerikafahrt“. Die mediterrane Felseninsel ist für den Erfolgsschriftsteller somit nicht nur ein Rückzugs- und Erholungsort, sondern auch ein Ort literarischer Produktivität.
Eine besondere Inselfreundschaft verbindet Waldemar Bonsels mit dem Maler Hans Paule. Er lässt sich von ihm malen, kauft häufig seine Bilder oder vermittelt diese an Freunde und Bekannte. In seiner Erzählung „Die Spur im Sand“ von 1919 verewigt Bonsels den künstlerischen Freund. Weilt Bonsels nicht auf Capri, herrscht zwischen den beiden ein reger Briefverkehr, der erst mit Paules Tod 1951 endet.
Immer wieder nimmt Bonsels auch Gäste in seiner kleinen Villa am Meer auf. Sein Sohn Holger wohnt um 1927 für einige Zeit hier. Die Tänzerin und langjährige Lebensgefährtin Edith von Schrenck gibt dort Tanzkurse; etwa im Sommer 1931, an dem auch Rose-Marie Bachofen teilnimmt.
Bei aller Idylle wirft Waldemar Bonsels opportunistische Einstellung gegenüber dem Nationalsozialismus einen Schatten auf den Insel-Besucher. Seit Winter 1932 hält er sich auf Capri auf und wartet das unruhige Ende der Weimarer Republik aus sicherer Entfernung ab. Nach der Machtergreifung schickt er im Frühling 1933 an das Propagandaministerium in Deutschland den antisemitischen Artikel „Begründungen“, der in zahlreichen Zeitungen veröffentlicht wird.
1937 besucht Bonsels Capri vermutlich zum letzten Mal. Der Zweite Weltkriegs macht solche Reisen undenkbar und auch nach dem Krieg kehrt Bonsels nicht wieder zurück. Im letzten erhaltenen Brief aus Capri an Rose-Marie schreibt er:
„Ich habe gestern mein Ms. [Manuskript] zugeklappt und die Koffer hervorgeholt. Ich werde mich noch eine Woche ausschlafen und dann abreisen.“
Waldemar Bonsels an Rose-Marie Bachofen: Capri, 22. Februar 1937